Jahrelang war ich als Ausstellender auf Ausbildungsmessen, habe Messestände – mal kleine, mal große – im Designer entworfen, zusammengeklickt, geshopt, testweise in kleinen Räumen aufgebaut und dabei die eine oder andere Gerätschaft vom Schreibtisch gefegt. Besonders tricky sind ja diese Fiberglas-Zeltstangen-Rückwandaufbauten – die sehen zusammengefaltet so klein und unschuldig aus, nur um dann, nach einem kleinen Schubser, halbautomatisch und in Lichtgeschwindigkeit aufzuploppen, dabei rücksichtslos jede Tasse mit jedem Heißgetränk von jeder Fensterbank fegend. Ein wirklich wertvoller Schritt in der Menscheitsgeschichte.
Mal gucken, vielleicht machen wir das mit Bruno irgendwann mal wieder, ich könnte diesen Kick gut gebrauchen – wird diese Rückwand mich erdolchen oder übersteht sie diesen Test der Kampfmittelsicherheitsüberprüfung?
Für den Moment jedoch ist hier eine Pause anliegend. Und die möchte ich gerne nutzen, euch ein wenig an meinen Erfahrungen teilhaben zu lassen.
Letzte Woche war’s also endlich mal wieder soweit – Bruno war aus privaten Gründen zu Gast auf einer Ausbildungsmesse. Namentlich war das die Vocatium in Berlin, Tag 2. Ausgestellt wurde in der Arena Berlin, eine Mehrzweckhalle im Herzen der Stadt. Von außen hat’s was von einem alten Fabrikgebäude (war’s vermutlich auch mal), innen bunte Betriebsamkeit und ein Lautstärkepegel, der die meisten Stadien zur EM vor Neid erblassen lassen würde.
Bereits auf dem Weg zum Messegelände herrschte lebhafter Trubel – wir gingen relativ spät auf Informationsjagd, der Gegenstrom war entsprechend umfassender als unsere Laufrichtung. Der letzte Schrei dieses mal: Blaue Zuckerwatte, rote LED-Herzen und eine Bio-Fruchtsaftschorle.
Man erkennt den Erfolg von Giveaways sehr gut daran, ob die Besuchenden an ihnen festhalten wenn sie sich vom Messegelände entfernen – oder ob sie eher reflexartig die immer gleichen Ramschartikel aus den Marketingshops in die Tonne feuern, bevor sie sich auf den Heimweg machen. Dieses Jahr definitiv behalten wurden die LED-Herzen. Wer die ausgegeben hat? Ich habe keinen blassen Schimmer.
Wir waren zu zweit vor Ort – und erstmalig ausschließlich aus privaten Gründen. Natürlich wäre das ein guter Ort gewesen, für Bruno ins Gesprüch zu kommen, aber hin und wieder hat das Leben des Teenagers im Haushalt halt Vorrang.
Der Zutritt ist kostenfrei für Gäste und die Anbieter vom IfT, Ausrichter der Vocatium, bewerben die Messen an den Schulen im Einzugskreis – entsprechend groß ist der Andrang. Ganz zu schweigen davon natürlich, dass ein Messebesuch auch für diejenigen, die die kommenden Jahre bereits fix durchgeplant haben, schulfrei bedeutet. Am Eingang gibt’s auf den Messen, die ihr Handwerk verstehen, immer einen Informationsstand. Hier erhalten interessierte Besuchende alle relevanten Infos aus Ausstellerseite: Welche Firmen stellen wo aus, welche Berufe werden angeboten, wie sieht das Rahmenprogramm aus, wo gibt’s die Fressbuden und, praktisch am wichtigsten: Wo sind die Toiletten.
Auf der Vocatium gibt’s das ganze Paket handlich im Taschenbuchformat, zusätzlich zum ähnlich begehrten Unterschriftenzettel zur Abgabe in der Schule mit dem Lageplan auf der Rückseite. Praktisch der Anwesenheitsnachweis zur Legitimation des Unterrichtsausfalls.
Die Vocatium verfolgt ein etwas spezielleres Konzept was ihre Messen angeht, sie vereinbaren Gesprächstermine zwischen interessierten Informationssuchenden und Standbetreibenden. Hier erhalten die, meistens, Schüler*innen im Vorfeld also bereits Ausstellerlisten und suchen sich dann eine handvoll Ausstellende raus mit einem Informationsangebot ihrer Wahl. Das ist aus Ausstellersicht recht angenehm, weil man sich so gut vorbereiten kann auf den zu erwartenden Ansturm und entsprechendes Personal ranschaffen kann. Aus Spontanbesuchendensicht hat es natürlich den kleinen Haken, dass es gut vorkommen kann, dass man grade in den intensiv belegten Zeiten und an den begehrten Messeständen keine*n Gesprächspartner*in vorfinden wird, der sich Zeit nehmen wird, einige nervtötend präzise Fragen zu einem Ausbildungsangebot zu beantworten.
Aus meiner Zeit als Ausstellender weiß ich aber auch noch: Diese Termine werden vom Anbieter geschickt verteilt, so dass man zwischen den fixen Terminen zumindest immer wieder mal einige Minuten für’s Laufpublikum erübrigen kann – wenn man nicht dringenderes zu erledigen hat (Die Info, wo die Toiletten sind, ist halt auch die Ausstellenden wichtig!).
Naja, wie dem auch sei: Dieses Konzept nötigt die interessierten Jugendlichen jedenfalls dazu, sich vor dem Messebesuch bereits Gedanken dazu zu machen, mit wem sie sprechen möchten und was sie dort in Erfahrung bringen möchten.
Spontanbesuchende – und auch Gäste so ungefähr jeder anderen Ausbildungsmesse die ich kenne – sind da natürlich flexibler und können sich unbeeinflusst von der Uhrzeit einen Vortrag anhören, sich für eine Biolimo in eine lange Schlange einreihen oder für ein Selfie im ausgestellten Tesla lümmeln.
Was mich damals immer irritiert hat, waren die am häufigsten gestellten Fragen der Besuchenden an meinem Stand:
- Was macht man als Fachinformatiker*in?
- Wie sieht’s mit Übernahmegarantien aus?
- Was verdient man während der Ausbildung?
Bei allem Verständnis für diese Fragen, haben mich diejenigen Besuchenden immer besonders gereizt, die diese Fragen auf eine andere Weise gestellt haben:
- Wie sieht euer Angebot aus, was hebt euch von der Masse der Ausbildungsbetriebe ab?
- Wie sieht euer Konzept für eine fortführende Qualifizierung während und nach der Ausbildung aus?
- Wie sorgt ihr in schwierigen Situationen während der Ausbildung dafür, dass ich wieder neue Motivation finde, neues Interesse am Ausbildungsberuf tanke?
Man erhält auf diese Fragen immer auch die Antworten auf die erste Fragenkategorie, aber noch so viel mehr. Ich werde oft gefragt, woran man vor Antritt einer Ausbildung einen „guten“ Ausbildungsbetrieb erkennt – meine Antwort ist meistens: Wenn ein*e Gesprächspartner*in auf diese Fragen wie aus der Pistole geschossen reagieren kann und euch die Antwort plausibel vorkommt – dann ist das ein gutes Zeichen. Denn es bedeutet, dass die Ausbilder*innen, und damit auch die Ausbildungsbetriebe, nicht festgefahren sind in ihren Strukturen, dass man verstanden hat, dass Ausbildung auch den Umgang mit Nachwuchskräften mit sich bringt – und damit letztlich auch mit Menschen, die oft unterschiedlicher nicht sein könnten.
Am Ende des Tages ist’s aber natürlich beinahe egal, welche Fragen ihr stellt. Die Art und Weise, wie man euch und eurer Neugier begegnet, ist fast immer wichtiger als die konkrete Antwort auf eure Fragen. Und wenn euch Fragen erst viel später einfallen – so aus der Kategorie shower thoughts – dann ist es gut, wenn ihr auf einer Messe ein gutes Gefühl bei einem Anbieter habt und ihr eine Visitenkarte oder einen Infoflyer von dem Unternehmen mitgenommen habt. Denn dann könnt ihr einfach den Kontakt aufnehmen und unverbindlich nachfragen.
Das ist vielleicht noch aus der Kategorie Geheimtipp: Nutzt diese Gelegenheiten zur Kontaktaufnahme gerne reichlich. Ein Ausbildungsbetrieb, der diese Fragen nicht als willkommene Gelegenheit versteht, künftige Nachwuchskräfte gezielt zu binden, wäre zumindest für mich eine red flag.
Bei den angebotenen Vorträgen solltet ihr vor allem dann reinschauen, wenn die Titel und Previews einen Mehrwert enthalten – klar kann’s auch interessant sein, sich das Karrierenetzwerk innerhalb eines Konzerns für eine Zeit nach der Ausbildung anzugucken, aber, let’s face it: Das haben die meisten Schüler*innen vor Antritt einer Ausbildung ohnehin noch nicht im Sinn. Und die Möglichkeiten verschwinden ja nicht einfach, nur weil man seine Ausbildung woanders gemacht hat.
Es gibt aber natürlich auch immer wieder Vorträge zu Themen, die Ausbildungsbetriebe bisweilen viel zu selbstverständlich nehmen:
- Wie schreibt man eine Bewerbung, ein Motivationsschreiben?
- Worauf achten Personaler*innen im Lebenslauf?
- Welchen Fragen und Aufgaben werdet ihr euch im Bewerbungsgespräch möglicherweise stellen müssen?
- Wohin entwickelt sich der Arbeitsmarkt derzeit – welche Jobs sind grad der heiße Scheiss?
Diese Vorträge kann ich uneingeschränkt und immer empfehlen – denn selbst wenn sie euch nicht da abholen, wo ihr grade seid, die Infos darin sind auf jeden Fall immer ein Blick hinter die Kulissen. Und das ist ein Wissensvorsprung, der euch einen Vorteil verschafft. Auch wenn’s gelegentlich so aussieht: Gerade in Ballungsgebieten ist die Anzahl an begehrten Ausbildungsplätzen nach wie vor geringer als die Anzahl an Bewerbenden.
Ich betreue jedes Jahr ein Assessmentcenter eines mittelständischen Unternehmens – von den Dutzenden Bewerbungen, die da bei uns eingehen, werden letztlich nur zwei oder drei eingestellt. Die anderen müssen weitersuchen.
tl;dr:
- Ausbildungsmessen sind super. Sie sind für euch kosten- und risikofrei, ihr erhaltet witzige Goodies, wichtige Infos und knüpft womöglich wichtige Kontakte
- Ich kann dringend empfehlen, euch vor so einer Messe zwei Gedanken dazu zu machen, was ihr wirklich wissen möchtet von den Ausbildungsbetrieben
- keine Furcht vor den Ausstellenden: Die sind vor diesen Gesprächen oft genauso unbeholfen und nervös wie ihr 😉
In diesem Sinne: Carpe Diem!