Teil 1 unserer Serie zur Abschlussprüfung: Der Projektantrag
Der Projektantrag ist meiner Erfahrung nach das unterschätzeste Schriftstück eurer Ausbildung – und ihr solltet hier sehr genau auf die Umgebungsbedingungen achten.
Dies ist die erste relevante Kontaktaufnahme zu eurem Prüfungsausschuss (und mithin aller Mitglieder darin…)
Euer Prüfungsausschuss kennt euren Ausbildungsbetrieb nicht
Euer Prüfungsausschuss kennt euer Projektumfeld nicht
Euer Prüfungsausschuss kennt möglicherweise nichtmal eines der Produkte eurer Projektziele
Es ist eure Aufgabe, ihnen all diese Eckdaten in der zum Verständnis des Projekts nötigen Breite aufzuzeigen. Ihr müsst einen Projektauftrag lesen und verstehen, daraus einen Projektantrag ableiten. Dieser Antrag muss drei euch in der Regel vollkommen Fremden Menschen umfänglich genügen, das Ausmaß eures Projekts und aller darin enthaltenen Teilaufgaben zu erfassen und in ihrer Komplexität und Dauer zu beurteilen.
Hinzu kommen die Eckdaten der Anforderungen an das Abschlussprojekt, die hier bereits greifen. Auszug aus der Verordnung über die Berufsausbildung (§20):
(2) Im ersten Teil hat der Prüfling nachzuweisen, dass
er in der Lage ist,
1. auftragsbezogene Anforderungen zu analysieren,
2. Lösungsalternativen unter Berücksichtigung technischer, wirtschaftlicher und qualitativer Aspekte vorzuschlagen,
3. Systemänderungen und -erweiterungen durchzuführen und zu übergeben,
4. IT-Systeme einzuführen und zu pflegen,
5. Schwachstellen von IT-Systemen zu analysieren und Schutzmaßnahmen vorzuschlagen und umzusetzen
sowie
6. Projekte der Systemintegration anforderungsgerecht zu dokumentieren.
Das bedeutet, der Antrag dient dem Prüfungsausschuss als erster Kontakt zu euch, eurem Ausbildungsbetrieb, eurem Projektumfeld – und gleichzeitig erwartet er hier eine Skizzerung dieser 6 Anforderungen.
Aus dieser Kombination ergeben sich bereits eine ganze Anzahl an Hürden. Die häufigsten Begründungen für Rückgabe eines Projektantrags dürfte sich in einem einzigen Punkt summieren: Ihr habt den Projektantrag auf eine Weise formuliert, die eurem Ausschuss nicht umfänglich die Eckdaten, Rahmenbedingungen und den Umfang eures Projekts offenbart.
Natürlich gibt’s auch Projekte, die wir aus technischen Gründen zur Überarbeitung zurückweisen: Immer dann, wenn ein Projekt eine „simple“ Konditionierung ist („ich werde 1x echtes Voodoo liefern und dies dann 20x wiederholen“) ODER wenn es aus unserer Perspektive einfach wirklich zu simpel ist („ich werde eine Vorlage in einem Textverarbeitungsprogramm erzeugen, die unsere Verwaltung künftig für die Bestellung von Tastaturen verwenden kann“).
Aber, let’s face it: Technische Komplexität ist eher selten der Grund für eine Zurückweisung eines Antrags – und wenn’s doch so ist, dann besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass es euch nur nicht gelungen ist, uns diese Komplexität aufzuzeigen.
Wesentlich häufiger stellen wir uns die Frage, ob diese zutreffenden der sechs genannten Punkte aus der Prüfungsordnung bedient werden – und wir stellen uns diese Frage auch nur, wenn ihr das nicht hinreichend erklärt habt. Gucken wir uns diese Punkte also im Einzelnen mal an:
1. auftragsbezogene Anforderungen zu analysieren
Hauptaufgabe in diesem Teil ist es, nicht etwa den Projektauftrag an uns durchzureichen. Selbst WENN ihr den Auftrag selbst geschrieben habt (das ist gar nicht so unüblich btw), dann wollen wir ja hier EURE Fähigkeit erkennen, einem für euren Auftraggeber relevant beschriebenen Auftrag die für diese Prüfungssituation relevanten Teile zu entnehmen und diese in einer an uns gerichteten Form zu analysieren.
Übersetzt bedeutet das: Wenn ihr verstanden habt, was der Auftrag von euch erfordert, dann wird es euch auch möglich sein, diese Forderung in eigene Worte zu fassen und dabei Rücksicht auf eure neue Zielgruppe zu nehmen. Wenn ihr ihn nicht verstanden habt, könnt ihr auch nicht in eigenen Worten wiedergeben, was von euch erwartet wird – getreu dem Albert Einstein zugeordneten Zitat:
„Wenn du es nicht einfach erklären kannst, hast du es nicht gut genug verstanden.“
Daher: Lest und versteht den Auftrag sehr genau. Sind Teile darin, die euch unklar sind? Sprecht mit eure Auftraggeberin. Sind euch die Dimensionen nicht verständlich genug? Sprecht mit eurem Auftraggeber. Tut das so lange und so oft, bis ihr wirklich verstanden habt, was von euch erwartet wird. Nur dann wird es euch gelingen, uns das Projekt aus eurer Perspektive aufzuzeigen.
2. Lösungsalternativen unter Berücksichtigung technischer, wirtschaftlicher und qualitativer Aspekte vorzuschlagen
Der Teil findet im Projektantrag nur selten Anwendung. Natürlich ist es, abhängig vom Projekt, möglich, bereits in der Vor-Projektphase über Alternativen zu sinnieren und die unterschiedlichen Aspekte der Lösung zu betrachten – aber erwartet wird das nicht. Es gibt natürlich Situationen, in denen beispielsweise eine Produktauswahl Teil des Projekts ist – in diesem Fall bietet es sich sogar ausdrücklich an, die verschiedenen Perspektiven einer solchen Auswahl anzugehen. Sie dann im Projektantrag anzusprechen, wäre smart.
3. Systemänderungen und -erweiterungen durchzuführen und zu übergeben
4. IT-Systeme einzuführen und zu pflegen
Üblicherweise ist euer Projekt entweder Kategorie 3. oder 4. Insofern beantwortet der Text auch den vierten Spiegelstrich:
Das sind zwei sehr zentrale Anforderungen, die wir an ein Abschlussprojekt stellen. Das eine, die Durchführung von Systemänderungen und -erweiterungen, ist eine eher technische Komponente – und in den allermeisten Fällen ohnehin Bestandteil eures Projekts. Hier gilt es euren Prüfungsausschuss davon zu überzeugen, dass ihr verstanden habt, in welcher Größenordnung sich euer Projekt wiederfinden wird und welche Ressourcen ihr anzunehmenderweise beanspruchen werdet, die von euch per Projektauftrag erwartete Systembereitstellung zu realisieren. Hier greift auch in sehr erheblichem Umfang der bereits Eingangs dieses Beitrags genannte, potenzielle blinde Fleck in eurem Antrag: Die Darstellung der Dimension, in die sich euer Projekt einbetten wird. Ein Asset Management System ist naturgemäß komplexer, je mehr Assets es initial zu bewerten hat. Und eine verteilte WLAN-Infrastruktur komplexer, je verwinkelter der Bereich ist, den es auszuleuchten gilt. Gelingt es euch hier nicht, uns die Dimension klarzumachen, in der ihr euch hier bewegt, werden wir den Antrag zurückweisen.
Der zweite Teil ist ein organisatorischer Bestandteil des Projektmanagements, dass ihr in eurem Projekt nachweisen müsst. Und es ist der erste wichtige Hinweis auf den eigentlichen Kernpunkt eures Abschlussprojekts:
Es handelt sich bei eurem Abschlussprojekt NICHT um den Nachweis eurer technischen Fähigkeiten – es handelt sich dabei vielmehr um den Nachweis eurer Fähigkeiten im Projektmanagement.
Technisch eindimensionale Projekte haben sehr hohe Chancen, durch ein perfekt durchorchestriertes Projektmanagement und eine saubere Dokumentation sehr gut bewertet zu werden – andersrum sind technisch hochgradig anspruchsvolle Projekt keineswegs ein Garant für eine gute Abschlussnote: Wenn ihr es nicht vermögt, eure technische Umsetzung ordentlich zu planen, die Finanzierung zu klären, Zeitpläne aufzustellen und letztlich eben auch zu übergeben, werdet ihr auch mit sehr komplexen Projekten am Ende überraschend schlechte Noten einfahren.
Natürlich ist es in eurem eigenen Interesse, die beiden Bereiche sinnvoll zu verknüpfen – ein komplexes Projekt, eingebettet in eine einwandfreie Projektstruktur und lückenlos dokumentiert ist der simpelste Schlüssel zu guten Noten.
Wir befinden uns hier aber noch im Bereich des Antrags, und für den gilt: Mindestens eine Zeitplanung der Arbeitspakete erwarten wir. Die Abnahme und Übergabe eures Projekts ist elementarer Bestandteil davon – und muss natürlich sachgerecht geplant und durchgeführt werden. Die Planung dazu muss bereits im Antrag ersichtlich sein.
5. Schwachstellen von IT-Systemen zu analysieren und Schutzmaßnahmen vorzuschlagen und umzusetzen
Die größte Anpassung der Neuverordnung: IT-Security ist bis tief in die Industrie- und Wirtschaftsnation vorgedrungen und wir erwarten von euch, dass ihr euch damit befasst.
Egal, welche Sorte Projekt ihr habt, es gibt immer auch Sicherheitsthemen mitzudenken. Ob das nun Berechtigungskonzepte, Zugriffsmethoden, physikalische Sicherungen oder was ganz anderes ist – an irgendeinem Punkt müsst ihr nachweisen, dass ihr euch damit auseinandergesetzt habt. Wir erwarten von euch hier eine Analyse und Beurteilung, eine Empfehlung an die Auftraggeber eures Projekts sowie die finale Implementierung der von euch vorgeschlagenenen und vom Projekt bestätigten Sicherheitsanpassungen.
Für den Antrag erwarten wir von euch mindestens mal die Nennung dieser Prüfungen – und damit natürlich auch ein gewisses Grundverständnis für die Sicherheitsbedenken, die sich im konkreten Umfeld eures Projekts befinden werden (ergibt halt wenig Sinn, sich über Dateiverschlüsselungen Gedanken zu machen, wenn ihr „nur“ n paar APs an eine Wand nagelt…).
Und last, but not least ein weiterer Hinweis in Richtung Projektmanagement:
6. Projekte der Systemintegration anforderungsgerecht zu dokumentieren
Selbstverständlich erwarten wir eine Dokumentation zu eurem Abschlussprojekt. Und wir erwarten sogar, dass diese sehr vielen, sehr konkreten Anforderungen genügt.
Für den Antrag erwarten wir aber vor allem, dass ihr Zeit dafür einplant.
Wenn wir dann diese sechs Punkte – eher intuitiv als „Punkt für Punkt“ – bewerten konnten, entscheiden wir uns für eine von zwei Möglichkeiten mit Optionen: Wir genehmigen den Antrag und geben euch Hinweise zur Durchführung des Projekts. Manchmal geben wir euch keine Hinweise – beim ersten Antragsversuch oft ein Hinweis auf einen tadelloses Antrag.
Oder wir geben den Antrag zur Überarbeitung zurück. In diesem Fall sind wir gehalten, euch zu schreiben, was unserer Meinung nach weitere Aufmerksamkeit erfordert. An welchen Stellen also Unschärfen im Antrag sind, wo wir Schwierigkeiten erkennen können, oder – ich schrieb es schon: Wenn uns die Dimension eures Projekts nicht klar ist.
Ihr habt für den Antrag und damit den „ersten Eindruck“ nur diese eine Chance. Und es gibt kaum einen Grund, mit diesem ersten Antrag nicht bereits zu glänzen. Und zwar ganz unabhängig vom Projektumfang – denn um eure Fähigkeiten geht’s in dem Antrag noch gar nicht.
Es geht vor allem darum, dass wir verstehen, was ihr da vorhabt, und der Meinung sind, dies entspräche dem Berufsbild.
Abschließend aus dem Nähkästchen von Prüfer*innen:
Eine delikate Spezialität enthält der gesamte Genehmigungprozess: Wir als Ausschuss dürfen einen Antrag faktisch nicht „ablehnen“. Wir dürfen ihn lediglich zur Überarbeitung zurückweisen. Das können wir, theoretisch, beliebig häufig tun, wenn uns die Überarbeitung nicht zufriedenstellt – und zwar so lange, bis er unseren Anforderungen genügt.
Ihr könnt das flott mal durchrechnen, wie oft ihr eine Rückgabe eures Antrags verschmerzen könnt. Für jede Rückgabe bekommt ihr eine neue Frist, einen überarbeiteten Antrag hochzuladen. Anschließend bekommt der Ausschuss wieder eine gewisse Zeit, den überarbeiteten Antrag zu lesen und zu beurteilen. Für diesen Overhead investieren wir alle gemeinsam 3 – 4 Wochen. Für den Ausschuss ist das noch vergleichsweise entspannt – er plant erst wieder zu den Terminen der mündlichen Prüfung, die neue Beurteilung eures neuen Antrags erledigen wir normalerweise „nebenbei“. Aber für euch ist dieser Zeitraum kritisch. In aller Regel habt ihr den Beginn der Arbeiten am Projekt knapp hinter den Termin gelegt, an dem euer Ausschuss genehmigen muss – der Termin ist damit schonmal nicht mehr zu halten. Der nächste liegt dann 4 Wochen weiter in der Zukunft. Und ehe ihr’s euch verseht befindet ihr euch am Ende des Zeitraums, den ihr habt, um eine Dokumentation hochzuladen.
Weil wir das also wissen, ist es allgemein üblich, einen Antrag nur einmal zur Überarbeitung zurückzusenden – beim zweiten mal genehmigen die meisten mir bekannten Ausschüsse euren Antrag – egal wie wenig er sich ihnen erschließen mag. Wenn ihr viel Glück habt, könnt ihr aus den Genehmigungsnotizen dann aber noch wertvolle Hinweise ablesen, wie ihr hier einen allzu miesen Start in eure gemeinsame Beziehung noch abfedern könnt – nehmt die also grundsätzlich ernst.
Aber soweit muss es eigentlich gar nicht kommen. Viele Hinweise stehen hier drin, andere stehen im Leitfaden für IT-Berufe.
Im Verlauf der kommenden Wochen werden hier weitere Trivia veröffentlicht:
Teil 2: Das Abschlussprojekt
Teil 3: Die Durchführung und Dokumentation des Projekts
Teil 4: Die Präsentation
Teil 5: Das Fachgespräch
Teil 6: Nach der Prüfung: Einsichtnahme & Widerspruch
Rückblick:
Fabelwesen „Abschlussprüfung“ – Ein Überblick in sechs Akten
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Intensivere Prüfungsvorbereitung, persönliche Betreuung und jede Menge mehr Hinweise und Tipps gibt’s natürlich direkt in unseren Schulungen. Klärt das im Zweifel frühzeitig mit euren Ausbildungsbetrieben oder anderen, interessierten Auszubildenden eures Jahrgangs und nehmt jederzeit unverbindlich Kontakt zu uns auf.
Ein sehr schöner Artikel für die #Abschlussprüfung der Fachinformatiker*innen FR Systemintegration. Ich wünschte mir, unsere Prüflinge würden ihn lesen und sich zu Herzen nehmen.
Allerdings befürchte ich eher, dass wir in einem Monat für die Winterprüfung der IHK Berlin wieder als Prüfungsausschuss grübeln werden, was sich wohl hinter den Beschreibungen der Prüflinge verbergen mag.
Vielleicht noch eine Ergänzung:
Als „frische“ Prüferin habe ich immer wunderbare, interessante Projekte in die Anträge hineininterpretiert, denn wir sind ja „Pro-Prüfling“, also unterstellen wir, dass es ein Super-Projekt ist, nur schwach dargestellt.
Mit der Erfahrung dreht sich das um.
Als erfahrene Prüferin unterstelle ich inzwischen immer das schwächste Projekt, das ich mir unter der Beschreibung vorstellen kann, denn häufig genug habe ich erst mit der Doku festgestellt, dass das Projekt nicht ausreichend war.
Dann ist es mir lieber, ich hake zu Beginn häufiger nach und gebe den Prüflingen vorher Hinweise, als nach Abschluss des Projektes zu sagen „War leider das falsche Projekt.“
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